Stuttgart, August 2021

Eigentlich wollte ich ja nach Berlin oder Hamburg…

dann wurde es doch Bad Liebenzell. Die kleine Stadt im Schwarzwald, die nur wenige Autominuten von meinem Heimatdorf Bieselsberg entfernt liegt. Gerade aufgrund der Nähe, hatte ich vor zehn Jahren die IHL als potentiellen Ort für mein bevorstehendes Leben als Studentin ausgeschlossen. Ich wollte ja schließlich Psychologie in einer Großstadt studieren. Und dann kam doch alles anders: noch knapp vor Studienbeginn „auf dem Berg“ schlitterte ich sozusagen auf Umwegen in die Kennlernwochen in den ersten Hochschuljahrgang in Bad Liebenzell hinein. Diese wenigen Tage reichten aus, um mich davon zu überzeugen, dass der neue Studiengang Theologie und Soziale Arbeit im interkulturellen Kontext, von dem ich davor noch nie etwas gehört hatte, doch eigentlich genau meine Interessen trifft. Am überzeugendsten aber waren zu Beginn nicht so sehr die Studieninhalte, sondern das Miteinander unter den Studierenden und mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf dem Berg.

Der Studienbeginn war wahrscheinlich für alle etwas holprig. Überall konnte man eine angespannte, aber doch meist freudige Neugier auf das spüren, was so ein Hochschulbetrieb mit sich bringen mag. Auf einmal waren die „Klassen“ viel größer, die Bibelschule wurde zu WGs umgebaut, im Missionshaus zogen Frauen ein und Jahr für Jahr kamen immer mehr Studierende aus unterschiedlichen (geistlichen) Kontexten hinzu. Für uns Studierende war das Studienleben an sich ja schon etwas Neues und Aufregendes, wie groß wird da wohl die Aufregung manch langjähriger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über all die Veränderungen gewesen sein!

Die vier Studienjahre waren wohl bisher die prägendsten Jahre in meinem Leben. Das gemeinsame Leben und Studieren hat Freundschaften hervorgebracht, die von ganz besonderer Art sind. Ich denke, ich spreche für die Meisten von uns, wenn ich sage, dass wir uns trotz aller Unterschiede und auch trotz der ganz verschiedenen Berufe und Wege, die wir eingeschlagen haben, durch die gemeinsame Zeit an der IHL verbunden fühlen. Sie hat uns natürlich akademisch, aber besonders persönlich und auch geistlich geprägt.

Für mich persönlich ging es nach dem Bachelorabschluss an der IHL erst einmal für ein Jahr zur Diakonie in Korntal, wo ich in einer Wohngruppe für unbegleitete minderjährige Geflüchtete arbeitete. Dann schon wieder zurück zur Liebenzeller Mission. Jedoch nicht nach Bad Liebenzell, sondern nach Ecuador. Südamerika war schon seit meinem Auslandsjahr nach dem Abitur ein Kontinent, der mich begeisterte und auf dem ich mich einfach wohl fühlte. Ich leitete in Ecuador zwei Jahrgänge des Kurzzeitprogramms Impact und durfte dort einen der vielen weltweiten Kontexte kennenlernen, für die die IHL unter anderem ausbildet. Besonders prägend war hier für mich, meine Rolle als sogenannte Missionarin und als deutsche Frau im ecuadorianischen Kontext erst wahr- und dann auch einzunehmen. Vieles von dem theoretisch gelernten aus den Vorlesungen wurde dort in der Praxis relevant. Meistens waren es geistliche und persönliche Fragen, die Andere oder ich selbst an mich stellte. Umso mehr schätzte ich das große Augenmerk der IHL auf die persönliche und geistliche Entwicklung der Studierenden.

Wer mitgezählt hat, weiß nun, dass zwischen Studienbeginn und dem heutigen 10-jährigen Jubiläum der IHL in meiner Erzählung noch drei Jahre fehlen. Während der letzten Monate in Ecuador entwickelte sich in mir der Wunsch, mit Frauen in besonders herausfordernden Lebenssituationen tätig zu sein. Gleichzeitig flüchteten immer mehr Menschen aus Venezuela auch nach Ecuador, um dort ein besseres Leben zu suchen. Unter ihnen viele Frauen, die als einzige Möglichkeit, ihre Kinder und sich selbst zu ernähren, die Prostitution sahen. Diese und weitere Impulse bewegten mich dazu, mich für die Zeit nach der Rückkehr nach Deutschland, im HoffnungsHaus der Aktion Hoffnungsland (Träger sind die Apis – ev. Gemeinschaftsverband Württemberg) in Stuttgart zu bewerben. Dort arbeite ich nun in besagtem HoffnungsHaus, einem offenen Café für Frauen in der Prostitution, als Sozialarbeiterin mitten im Rotlichtviertel in Stuttgart. Viele der Herausforderungen, die sich mir in Ecuador stellten, tauchen auch hier, wieder auf, wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise. Auch hier werden Fragen an mich als „studierte Theologin“ oder ganz einfach als Frau, „die Jesus nachfolgt“ gestellt. Auch hier geht es oft darum, welche Rolle eine Frau in unterschiedlichen Kontexten einnehmen soll/darf/muss/will.

In gewisser Weise hat mich die Rückkehr nach Deutschland nicht nur örtlich Bad Liebenzell wieder nähergebracht, sondern auch privat. Beim selben Arbeitgeber, der Aktion Hoffnungsland, sind mehrere IHL-Absolventen angestellt. Unter ihnen durfte ich einen ehemaligen „TheSAler“ wiedertreffen, der zwei Jahre nach mir an der IHL studiert hat. Markus Baun ist nun seit wenigen Wochen nicht nur „einer der Liebenzeller“, sondern auch mein Ehemann. Und auch die IHL hat mich seit zwei Jahren wieder, dieses Mal im M.A. Studiengang Integrative Beratung.

Nicht Berlin oder Hamburg, sondern Bad Liebenzell. Nicht Psychologie, sondern TheSA. Nicht Langzeit-, sondern erst einmal Kurzzeitmission. Nicht die große Liebe auf dem Berg, sondern ein Wiedersehen in Stuttgart… Vieles kam anders als geplant und erdacht, aber Gott weiß was er tut. Vielleicht würde das auch der Eine oder die Andere rückblickend über die letzten zehn Jahre der IHL sagen.

Carina Baun