Bad Liebenzell, August 2021

Der Buddhismus der Sôka Gakkai und der christliche Glaube – Warum ich an Jesus festhalte!

Am 15. September 2005 zogen meine Frau und ich mit unseren Kindern nach Ôme, einer Satellitenstadt im Westen Tokios mit etwa 140.000 Einwohnern und Einwohnerinnen. Es dauerte nicht lange, bis wir Kontakt zu einigen Nachbarn und Nachbarinnen aufnehmen konnten, die sich als Mitglieder der Sôka Gakkai, der „Studiengemeinschaft zur Schaffung von Werten“, vorstellten. Anders als andere Menschen in Japan waren diese sehr eifrig, uns ihren Glauben vorzustellen. Mit ihrer gastfreundlichen Art waren sie schnell bereit, über verschiedene religiöse und philosophische Themen zu diskutieren und uns mit zu ihren Veranstaltungen zu nehmen. Seit damals fasziniert mich die Sôka Gakkai. Sie ist eine Religionsgemeinschaft aus Japan, die nicht nur durch ihr immenses Wachstum auffällt, sodass ich nun ein Forschungsprojekt für die Bergische Universität Wuppertal fertigstellen konnte, die hoffentlich im kommenden Herbst veröffentlicht wird. In den folgenden Zeilen will ich für euch ein paar Vergleiche ziehen. Lasst euch drauf ein – wir können nicht immer alles aus unserer christlichen Perspektive sehen.

Den Fokus lege ich dabei auf eventuelle Gemeinsamkeiten, die in interreligiösen Treffen als Ansatzpunkte dienen könnten. Ich ziehe dabei Vergleiche anhand ausgewählter biblischer Texte. Wie weit einzelne Christen und Christinnen diesen zustimmen würden, muss hier unbeantwortet bleiben. Ein Anspruch auf Vollständigkeit ist ebenfalls nicht gegeben.

Menschen als defizitär

Die Sôka Gakkai lehrt, dass Menschen eine „Menschliche Revolution“ durchlaufen müssen, da sie in ihrem natürlichen Zustand durch karmische Wirkungen in steten negativen Zuständen verhaftet sind. Doch ist in jeder Frau und in jedem Mann der Samen der Buddhaschaft immanent vorhanden, den es durch die buddhistische Praxis immer mehr zum Glänzen zu bringen gilt. Allein der Begriff „Revolution“ weist auf die Notwendigkeit einer radikalen Veränderung hin. Die ambivalente Situation lässt sich mit der Beschreibung des Menschen in der Bibel vergleichen. Geschaffen nach dem Ebenbild Gottes (1) verhält sich die Menschheit nach dem in Genesis 3 beschriebenen Sündenfall ganz und gar nicht gemäß dieser anthropologischen Grundaussage. Die christlich-jüdischen Schriften beschreiben den Menschen von Anfang an als Mörder, als neidisch und Unterdrücker der Schwachen. Selbst die „Helden“ der Bibel werden uns als Menschen vorgestellt, die versagen und schwach sind.

In beiden Traditionen wird der Mensch als grundsätzlich fähig zum Guten (innewohnende Buddhaschaft, Ebenbild Gottes) beschrieben. Gleichzeitig erkennen beide die defizitäre Situation der Menschheit an, auch wenn die Wege zur Veränderung unterschiedlich beschritten werden.

Eschatologie

Für die Sôka Gakkai befindet sich diese Welt in der Endzeit, in der das Dharma, das ist die buddhistische Lehre, immer stärker in den Hintergrund tritt. Diese Ära ist charakterisiert durch Kriege, Krankheiten und Naturkatastrophen. Ähnliches wird in den sogenannten Endzeitreden (2) Jesu im Neuen Testament beschrieben. Auch dort wird vorhergesagt, wie die Menschheit vor der endzeitlichen Parusie Christi unter genau diesen Problemen zu leiden hat:

„6 Ihr werdet hören von Kriegen und Kriegsgeschrei; seht zu und erschreckt nicht. Denn es muss geschehen. Aber es ist noch nicht das Ende. 7 Denn es wird sich ein Volk gegen das andere erheben und ein Königreich gegen das andere; und es werden Hungersnöte sein und Erdbeben hier und dort. (…) 12 Und weil die Missachtung des Gesetzes überhandnehmen wird, wird die Liebe in vielen erkalten.“ (3)

Bemerkenswert ist an dieser Stelle, dass Christus sagt, dass das Gesetz mehr und mehr ignoriert werden wird, was zu einer Lieblosigkeit der Menschheit führt. Was das Neue Testament genau unter Gesetz versteht, kann hier nicht erörtert werden, sicher jedoch etwas anderes, als wenn die Sôka Gakkai von Dharma spricht. Trotzdem ist die Parallele bemerkenswert. Gleichsam ist die Parallele auffällig, dass sowohl die buddhistische Religionsgemeinschaft als auch das Neue Testament über eine Abnahme des Interesses an den religiösen Lehren sprechen, was bei beiden zu negativen Auswirkungen wie Lieblosigkeit gegenüber Mitmenschen führt. Die Lösung der Buddhisten und Buddhistinnen, mit denen ich gesprochen habe, liegt in der Existenz für andere.

Existenz für andere

In den verschiedenen Gesprächen wurde deutlich, dass die Praktizierenden des Nichiren- Buddhismus der Sôka Gakkai dem Bestreben nachgehen, in ihrem Alltag im Sein für andere zu leben. Andere Menschen sollen glücklich gemacht werden. Darin liegt auch das Fundament ihres eigenen Glücks. Die Person des Bodhisattva ist hier bedeutsam. Bodhisattva ist eine Person, die die buddhistische Erleuchtung gefunden hat. Aus Mitgefühl für andere bleibt sie jedoch in dieser Welt, um anderen zu helfen. Das wird hier zu einem ethischen Ideal, dem es nachzustreben gilt. Das Leben soll für den anderen hergegeben werden. Die Bibel fordert ebenfalls Gläubige auf, den anderen höher zu achten als sich selbst, darin folgen die Glaubenden dem Exempel Jesu Christi, der sich für die Menschheit erniedrigte und sich darin opferte. (4) Das Glück und Wohlergehen des anderen, ja, sogar des Feindes oder der Feindin zu suchen, sind prominente Themen des Neuen Testaments, wie zum Beispiel das Gleichnis des barmherzigen Samariters (5) und nicht zuletzt das Gebot der Feindesliebe (6) deutlich machen. Beide Konzepte haben unterschiedliche Begründungen, wollen jedoch aus ethischer Perspektive Glaubende auffordern, das Glück des anderen als wichtiger zu nehmen als das eigene. Weiterhin verbindet die Praktizierenden der Sôka Gakkai mit Christen und Christinnen die gemeinsame Hoffnung auf universalen Frieden.

Sehnsucht nach Frieden

Die Botschaft der Sôka Gakkai zielt auf einen universalen Weltfrieden ab. Menschen aller Völker, Sprachen und Rassen sollen verbunden werden. Somit, das ist die Hoffnung der Religionsgemeinschaft, wird es keine Kriege mehr geben. Diese Vision wird durch die Mitgliedschaft in der weltumspannenden Glaubensgemeinschaft in die Realität umgesetzt. Auch die biblischen Schriften kennen die Hoffnung auf einen umfassenden Weltfrieden. So schreibt der Prophet Jesaja in seiner Vision über die Völkerwanderung nach Jerusalem:

„Und er wird richten unter den Nationen und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.“ (7)

Auch der Seher Johannes sieht in der Apokalypse eine Zeit des allumfassenden Weltfriedens, in der es keine Kriege und kein Leid mehr geben wird und in der Völker miteinander in Frieden leben werden. (8) Die Vision von Weltfrieden verbindet diese beiden Religionsgemeinschaften. Indes ist anzumerken, dass es in der Frage, wie diese Hoffnung umgesetzt werden kann, unterschiedliche Ansätze gibt: Während die biblische Erwartung darin besteht, dass der eschatologische Weltfriede durch den wiederkommenden Christus geschaffen wird, geht die Sôka Gakkai davon aus, dass die Organisation als Ganzes durch die Masse der Praktizierenden diesen erreicht und umsetzt. Damit steht eine Organisation im Mittelpunkt.

Was ist Glück?

Die große Motivation zur Hinwendung zum Nichiren-Buddhismus, die in den Konversionserzählungen der Praktizierenden deutlich wurde, lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Sie liegt in der Suche nach Glück. Sei es der globale Weltfriede oder persönliche Beziehungen innerhalb der Familie, an der Arbeitsstelle oder im Freundeskreis. Glück ist das Versprechen der Sôka Gakkai. Wer praktiziert, wird glücklich. Eine Religion disqualifiziert sich als irrelevant, wenn sie nicht glücklich macht. So haben es mir meine Gesprächspartner im Forschungsprozess immer wieder gesagt.

Was die Sôka Gakkai als Glück bezeichnet, beschreiben Christen mit weiteren Worten, wie Segen oder Freude. Dabei lässt sich ebenfalls eine Sehnsucht nach Wohlergehen und nach einem guten Leben erkennen. Harmonie in der Familie, Gesundheit und glückende zwischenmenschliche Beziehungen sind Werte, die sich Christen ebenfalls wünschen. Auch materieller Wohlstand wird vor allem in der Weisheitsliteratur der hebräischen Schriften an vielen Stellen als Ergebnis eines guten Lebensstils vor Augen geführt. (9) Der Unterschied liegt jedoch darin, dass die Sôka Gakkai Glück als Kennzeichen einer wahren Religion bezeichnet.

Diese Aussage widerspricht wesentlichen Stellen des Neuen Testaments. Allen voran der Tatsache, dass Jesus Christus selbst in dieser Welt nicht zu materiellem Reichtum, immer guten Beziehungen und einem geglückten Leben kam. Er starb abgelehnt am Kreuz. Mit anderen Worten: Biblischen Aussagen zufolge lässt sich die Suche Glück nicht nur auf dieses Leben begrenzen.

Auf der Suche nach Glück – Schlussbemerkungen

In den Gesprächen meiner Forschung wurde deutlich, dass die Mitglieder der Sôka Gakkai in ihrer Religion glücklich sind. Durch die Teilnahme an verschiedenen Veranstaltungen erleben sie ein Gemeinschaftsgefühl, das sie trägt. Sie sind eingebunden in ein soziales Netzwerk, das ihnen in vielerlei Hinsicht Vorteile verschafft.

Persönlich habe ich mich im Forschungsprozess manches Mal gefragt, was denn das Besondere in meinem Glauben ist. Was habe ich, was die Mitglieder der Sôka Gakkai nicht haben. Die Kategorien Glück, Wohlstand, Gesundheit, gute Beziehungen, richtiges Leben und so weiter helfen da nicht. Es ist Jesus Christus, der den Unterschied macht. Er hat mir das Herz abgewonnen. Er hat mich mit meinem Schöpfer versöhnt. Die Sôka Gakkai tut sich mit Leid schwer (ich auch!). Für sie ist die Leiderfahrung ein Beweis, dass man einer falschen Religion angehört. Hier finde ich eine Antwort in einem alten Choral, die mich wieder auf Jesus hinweist: „In Dir ist Freude in allem Leide – o du süßer Jesus Christ!“ Haltet an Jesus fest!

Ich grüße euch herzlich

Euer

Tobias Schuckert
Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Interkulturelle Theologie / Missions­wissenschaften und Methoden der Sozialforschung, Mitarbeiter am LIMRIS-Institut

  1. Vgl.: Genesis 1,26.
  2. Vgl.: Matthäus 24; Markus 13; Lukas 21.
  3. Matthäus 24,6-12.
  4. Vgl.: Philipper 2,3-11.
  5. Vgl.: Lukas 10,25-37.
  6. Vgl.: Matthäus 5,44; Lukas 6,27.
  7. Jesaja 2,4; vgl.: Micha 4,3.
  8. Vgl.: Offenbarung 21,3-4;24-26.
  9. Vgl.: Sprüche 6.